(Jo) Ein Höhepunkt zum Auftakt der Semmer Kerb war wieder einmal die große Einbürgerungszeremonie des Heimatvereins Semd. In seiner Laudatio sagte Vorsitzender Karlheinz Müller, dass seit Menschengedenken der Brauch besagt: „Wer nidd oamol in seum Läwe in de Besch geläje hodd, iss koan rischdische Semmer“.
Bis zu der Verkastelung der Semme im Jahr 1973 war das auch gar kein Problem. Die „Besch“ war Abenteuerspielplatz für alle Semmer Kinder. Da war ein Sturz in den Bachlauf schon vorprogrammiert. Heute stellt sich das erheblich schwieriger dar.
Insbesondere ist es für Zugereiste und Eingeheiratete nicht immer einfach „Semmer“ zu werden. Viele leben schon jahrelang im Stadtteil, fühlen sich aber trotz Engagement in der Gemeinschaft nicht als richtige Semmer. Andere sind erst einige Monate im Ort, finden aber relativ schnell Kontakte und haben Semd zu ihrem Lebensmittelpunkt erkoren.
In vielen Nachbargemeinden versucht man dieses Dilemma mit einer „Neubürgertaufe“ zu lösen. In Semd geht man einen anderen Weg: man will per „Gerichtsbeschluss“ dem Unwohlsein mancher ein Ende bereiten und Klarheit schaffen.
Nachdem im Jahr 2008 erstmals nach 200-jähriger Pause das „Märkergericht auf der dauben Sembd“ tagte und über die ersten Fälle entschied, trat nun nach der Verhandlung im Jubiläumsjahr 2012, erneut das bedeutsamste Semder Gericht zusammen, nämlich das „Grävengericht zu Sembd“.
Zur Geschichte
Semd war schon immer mit Umstadt verbunden „im Guten, wie im Schlechten“ und es war auch immer der gleichen Herrschaft und vor allem Gerichtsbarkeit unterworfen, bis auf eine ganz große Ausnahme, die es in anderen Orten nicht gab. Diese Besonderheit hat auch das Verhältnis der Semder zu Umstadt entscheidend beeinflusst.
Der Umstädter Heimatforscher und frühere Amtsrichter Peter Füßler schrieb einmal: Weil es (Semd) keine andere Gerichtsobrigkeit „denn beider Herrschaften“ habe außer dem „Kreffengericht, so der landgraff des Orts uff etzlichen güttern hatt“, werde der Ort als der Herrschaften „angehör“ verstanden. Semd gehörte also nur mit einem gewissen Vorbehalt zum Amt Umstadt. Es ist auch bemerkenswert, dass die Semder im Unterschied zu den Klein-Umstädtern und den Richern gegenüber dem Amtsort Umstadt nicht mit Frondiensten belastet waren. Diese hatten beispielsweise das Heu auf dem Abtsrod ab- und dürr zu machen und für die landgräfliche Kellerei Holz zu spalten. Außerdem mussten sie das Pfälzer Schloss säubern, „alle 8 oder 14 Tage die Frucht wenden, Zaunstecken machen und den Burggarten behegen.“ Ganz ungeschoren blieben die Semder aber auch nicht. Sie hatten nach uralter Überlieferung jährlich zwei Eichbäume zur Burg Otzberg zu liefern, die sie auf die äußere Mauer der Festung legen mussten.
Die Entstehung des Grävengerichts
Abgekürzt zur Entstehungsgeschichte sei erwähnt, dass es in Semd ein Dorfgericht und ein Grävengericht gab, welches aber schon sehr viel früher als die Dorfgerichte bestand. Später tagte dann erst das Dorfgericht mit Schultheiß und 8 Schöffen, einen Tag später das Grävengericht unter Vorsitz des Grävenschultheiß.
Dies ging jahrelang gut, bis 1726 der Dorf- und Grävenschultheiß Johann Balthasar Menges in Umstadt darum bat, seinen Sohn Johann Heinrich Menges als „Adjunctus“ (Gehilfen) einzusetzen. Dieser versuchte den alten Stellenwert des Grävengerichts wieder herzustellen. Es kam, wie es kommen musste, in der Folge entstanden enorme Streitigkeiten im Dorf und mit Umstadt.
In einer Urkunde von 1711 wird erwähnt, dass „die Bewohner der Gräffengasse oder eines Gräffenplatzes seit alters vom Blut- oder kleinen Zehnten befreit“ waren. Die früheren Bewohner der heutigen Grafenstraße waren also wesentlich besser gestellt als der Rest der Semder Bevölkerung. Erst als 1803 Umstadt und Semd insgesamt zu Hessen kamen, endete das Grävengericht.
Das Gericht 2017
Zum Grävengericht zu Sembd gehörten im Jahre 2017 als Grävenschultheiß Dieter zu Dummesdirrers (Dieter Ohl), als Amtmänner Ritter Karlheinz zu Hejwehoannse (Karlheinz Müller) und Freiherr Christoph von de Beschgass (Christoph Ohl), als Advocatus Karlheinz zu Heggäije (Karlheinz Müller), als Gerichtsdiener Junker Jörg vom Majorschpäädche (Jörg Eidmann), als Mundschenk (für’s Beschwasser) Junker Ralf vom Gässje (Ralf Illmer) sowie die Burgfrau Ilona zu Heggaäje (Ilona Müller).
Einbürgerungskandidaten
Zu den Kandidaten, die im Verlaufe ihrer Einbürgerungszeremonie in den Genuss von echtem Semmer Beschwasser durch Mundschenk Junker Ralf kamen, gehörten: Dr. Thomas Feller (Friedhoufstrooße), Nadine Fischer (Gässje 7), Romy Fischer (Owwerenn 25), Rainer Gilbert (Tulbewech 7), Abdel Graine (Miehlgasse 12), Kerstin Gruber (Frauegroawe 20), Sabrina Hamann (Beschgasse 26), Benjamin Heil (Fäijewohnung im Frauegroawe 20), Jan Ludwig Katzenmeier (Heggegasse 16), Jasmin Kinz (Im Egg 42), Nikola Schmidt (Gässje 11), Ricarda Wenzel (Heggegasse 23a), Benjamin Wyche (Im Egg 4) und Marika Zirk (Fasoanering 24).
Leumund
Als Leumund agierten für die 14 Kandidaten (Reihenfolge wie zuvor) Kirchhoufguggersch-Tilo, Kevin Gehrig, Heilmoanns Moni, Lutze-Helmut, Kaisers-Peter, Kronersch-Bastioan, Schadamms-Andreas, Grubers Marcel, Beddgas Jirgen, Maddese Björn, Bolls Marvin, Houfbauersch-Oliver, Boggs Carsten und Soanne-Hermann.
Es galt nun für die 14 Kandidaten spezifische Fragen zu ihrem Heimatort Semd zu beantworten. Beispielsweise wie viele Brücken einst über die Semmer Beschgasse führten (Lösung: 13), welche Tradition wird in Semd am 1. Mai gepflegt (Lösung: Maiweckausgabe für alle Semder Kinder) oder wie heißt die Semmer „Minnesängergruppe“ (Lösung: „Semmer Stoarn“). ‘ Außerdem mussten die Kandidaten dem Grävengericht die Frage beantworten, warum sie denn Semmer werden wollen. Eine Antwort gefiel dem Gericht besonders, denn einer der Kandidaten sagte, für ihn sei Semd die „Wohlfühloase Nummer Eins!“ Anschließend durften alle Kandidaten ihre Einbürgerungsurkunde entgegennehmen.
Zum Schluss der Zeremonie sangen schließlich noch alle gemeinsam das Lied: „In Semm bin ich Dehoam!“