Schinderhannes

Vorwort zur Schinderhannes-Broschüre, 2. überarb. Auflage 01/2008

Von Karlheinz Müller in 01/2008
Nach neuesten Nachforschungen des Schinderhannes-Experten Dr. Mark Scheibe wurde Johannes Bückler vermutlich 1779 als zweiter Sohn eines „Wasenmeisters“, auch Schinder (Abdecker) genannt, und einer Bauerntochter geboren. Bisher wurde als Geburtsdatum auch der 24.10.1777 in Miehlen im Taunus diskutiert. Allerdings existiert zu Johannes Bücker im dortigen Kirchenbuch kein Eintrag, womit auch der Geburtsort des Räubers strittig ist. Ebenso wurde das Jahr 1783 schon als Geburtsjahr genannt. Dies erscheint aber auf Grund späterer Aussagen von ihm, seines Vaters und anderer Personen eher unwahrscheinlich.
Am 21. November 1803 stirbt er zusammen mit 19 weiteren Angeklagten in Mainz unter der Guillotine mit dem legendären letzten Satz:
„Ich sterbe zu Recht, aber zehn meiner Kameraden verlieren das Leben unschuldig.“

Der Hinrichtung ging eine 1½-jährige Untersuchung mit dem ersten Schauprozess des 19. Jahrhunderts voraus. Über 400 Zeugen – weit über 200 seitens der Verteidigung und fast 200 seitens der Anklage – wurden verhört. Tausende Menschen kamen nach Mainz und rauften sich um die Eintrittskarten für die besten Zuschauerplätze im Gerichtssaal. Obwohl es insgesamt 68 Angeklagte gab, kamen alle nur wegen dem einen, dem berüchtigten Räuberhauptmann Schinderhannes. Während seiner Vernehmung legte er meist großen Wert darauf, nicht als ein gewöhnlicher Räuber oder Dieb angesehen zu werden. Wortgewandt und geistesgegenwärtig schilderte er, wie schlau und listig er die Überfälle verübte und vor allem, er war auch auf sein Äußeres bedacht. Er betonte immer wieder, er habe nie Gewalt ausgeübt – er habe ganz im Gegenteil, immer versucht, das Schlimmste zu verhüten, wenn seine Kameraden Gewalt ausüben wollten. Erst als er in der Hauptverhandlung gegenüber einer Zeugin zugeben musste, dass man ihr bei dem Überfall auf die Kratzmühle in Merxheim Wachslichter unter die Achselhöhlen hielt, verlor er die Hoffnung, dass ihm die Todesstrafe erspart bliebe, und sagte nachher:
„Ich habe meine Todtenvögel pfeifen hören.“

Seine Räuberlaufbahn begann mit der Geschichte vom „vertrunkenen Louisdor“ (Louisdor = alte französische Münze), die später in einer Aussage des Schinderhannes noch erzählt wird. Es folgten kleinere Hammel-, Schweine- und Pferdediebstähle. In der Umgebung wurde er dadurch bekannt, dass ihn kein Gefängnis halten konnte. Sechseinhalb Jahre nur dauerte seine kriminelle Karriere (Ende 1795/Anfang 1796 bis Mai 1802). Seine beste Zeit, bewaffnete Überfälle zusammen mit einigen Spießgesellen, nur von 1799 bis 1802.

Die Anklage gegen den damals 24-jährigen lautete mit heutigen Worten: versuchter Diebstahl und Diebstahl, versuchter Einbruch und Einbruch, Nötigung, Raub, Unterschlagung, Haus- und Landfriedensbruch, Erpressung, räuberische Erpressung, Hehlerei, Körperverletzung, schwere Körperverletzung mit Todesfolge, vierfacher Mord.

Insgesamt 129 Delikte konnten ihm nachgewiesen werden und er wurde dafür zum Tode verurteilt. Laut dem öffentlichen Ankläger Tissot in einem Bericht an den Justizminister, strömten seinerzeit 30.000 Menschen nach Mainz, um dem „Hinrichtungs-Ereignis“ beizuwohnen.

Die Ermittlungen des Mainzer Kriminalspezial- gerichtshofes gegen den Schinderhannes und seine Bande wurden in der sogenannten „Voruntersuchung durch das Kriminalspezialgericht gegen Johannes Bückler, genannt Schinderhannes, und 67 seiner Komplizen (…)“ zusammengestellt und bildeten die Grundlage für das Verfahren gegen ihn. Diese „Mainzer Voruntersuchungsakten“ wurden im Jahr 2003 von dem Trierer Historiker Dr. Udo Fleck digitalisiert und nun be-züglich Semd ausgewertet und recherchiert. Sie enthalten zahlreiche Erwähnungen von Semd und sogar Verhörprotokolle von einigen Semder Bürgern. Alles eindeutige Hinweise darauf, dass Semd rechts des Rheins eine Art „Zentrale“ oder auch „Basislager“ für den Schinderhannes war. Aber damit nicht genug, Mark Scheibe schreibt in seinem Schinderhannes-Forschungsbericht 2006: „Folgt man den Aussagen der Räuber in den Prozessakten, so muss Semd eine wahre Räuberhöhle gewesen sein und immer wieder als Unterschlupf und Treffpunkt für viele zwielichtige Gestalten hergehalten haben.“
Wie später noch zu lesen sein wird, sind auch im Archiv der Stadt Groß-Umstadt Belege in der Zentrechnung von 1802 und dem Zentprotokoll von 1805 enthalten, ebenfalls Beweise für den Aufenthalt des Johannes Bückler und Konsorten in Semd.

1799 kam er erstmals in unsere Gegend und lernte auf dem Breitwieser-Hof bei Richen Christian Reinhard kennen, der zu seinem engsten Weggefährten wurde.

Ziel dieser Recherchen war es nicht, neue tiefgreifende Erkenntnisse über den Schinderhannes und seine Komplizen zu erlangen – darüber wurden bereits unzählige Abhandlungen verfasst – sondern einfach nur aus dem vorliegenden Material den Bezug des Schinderhannes und seiner Spießgesellen zu Semd herauszufiltern und somit auch einen Teil der Semder Geschichte und seiner Bürger aufzuarbeiten.

Die „persönlichen Beschreibungen“ der Räuber der Schinderhannes-Bande, die nach den Verhörprotokollen in Semd waren, erlauben einen tiefen Einblick in die Lebensumstände der damaligen Zeit. Interessant sind auch die gesellschaftlichen Gepflogenheiten unserer Vorfahren, die sich aus den Aussagen von Semder Bürgern, die entweder selbst vernommen, oder in anderen Protokollen erwähnt worden sind, ergeben. Dies gilt ebenso für die beschriebenen Delikte, die in unmittelbarem Zusammenhang mit Semd stehen. Und auch die damalige Sprache trägt in erheblichem Maße zum Verständnis dieses Zeitabschnitts bei. Viele Passagen aus den Protokollen wurden daher wörtlich zitiert.

Karlheinz Müller in 01/2008

Quellen:
- Mark Scheibe, Schinderhannes - sein Lebensweg zwischen Taunus, Wetterau, Hunsrück und Odenwald - Forschungsbericht Stand 2006 - Kelkheim 2006
- Udo Fleck (Bearb.), Die Mainzer Voruntersuchungsakten gegen die Schinderhannes-Bande, Kliomedia-Verlag, Trier
- Peter Bayerlein, Schinderhannes-Chronik und Schinderhannes Ortslexikon, Verlag Ernst-Probst, Mainz 2003
- Uwe Anhäuser, Schinderhannes und seine Bande, Rhein-Mosel-Verlag, Alf/Mosel 2003