Während der bayerischen Fehde in den Julitagen 1504 hausten hessische und andere Kriegsknechte in unserem Dorfe schwer, wobei sie raubten und plünderten. Das nach dem Walde hin gelegene Dorf Steinhausen soll damals in Flammen aufgegangen und verschwunden sein.
Im dreißigjährigen Kriege wurde das Dorf hart mitgenommen, mußte in den Jahren 1623 und 1637 Plünderung, Raub und Zerstörung über sich ergehen lassen. Die Bewohner flüchteten damals nach dem bewehrten Grozen-Umstadt. Früher war die Lage des Dorfes auch eine andere und finden wir im sogenannten Niederend, eine aus kleinen Parzellen bestehende landwirtschaftlich und gärtnerisch benutzte Gewann, in geringer Tiefe noch Mauerrest aus jener Zeit. Die hiesige Gegend muß schon in grauer Vorzeit besiedelt gewesen sein. Im nahen Forstwalde wurden durch Wurzeln verwachsene Steinbeile und andere Gebrauchsgegenstände der alten und neuen Steinzeit zum wiederholten Male gefunden. Eben daselbst finden wir Erdhügel, die die charakteristischen Eigenschaften der germanischen Gräber zeigen. Ein Gräberfeld aus der römischen Zeit finden wir östlich dem Dorfe in der Nähe der neuen Friedhofes und wurden daselbst schon steinerne Sarkophage mit Glasgefäßen gefunden. Welch große Naturereignisse in früherer Zeit über die hiesige Gegend ergangen sind und wie dies alles gestaltet war, ist schwer zu ergründen. In geringer Tiefe an einigen Stellen im Ort lagernde Baumstämme geben Zeugnis davon, daß gewaltige Überschwemmungskatastrophen in früherer Zeit stattgefunden haben müssen. Der untere Stock eines hiesigen Wohnhauses soll zum größten Teil von einem solchen Baumstamm von ungeheurer Dicke hergestellt sein.
Architektonische Bauten einer früheren Zeit, wie wir sie im nahen Groß-Umstadt finden, sind leider in unserem Dorfe, welches die Schrecken obengenannter Kriege mitmachte, nicht zu finden. Wir betreten zuerst die Grafenstraße. Ihr Name soll daher kommen, daß in einer früheren Zeit ein Grafengeschlecht hier sein Domizil gehabt haben soll. Nicht weit vom Eingang finden wir das alte Schulhaus, jetzt Rathaus. Nur noch im oberen Stocke wird ein Raum zu Schulzwecken verwendet. Ein Fräulein bemüht sich zur Zeit die Kleinsten in die Geheimnisse der deutschen Ortographie und Schrift einzuweihen. Im unteren Geschoß finden wir die Bürgermeisterei mit diversen Räumen und der Rathaussaal. Herr Bürgermeister Heyl leitet z.Zt. in umsichtiger und gerechter Weise die Geschicke des Dorfes. Die Sehnsucht aller jungen Mädchen finden wir ebenfalls dort, das Standesamt. Nicht unerwähnt darf man lassen die im Rathaussaal stattfindenden Gemeinderatssitzungen. Je nach Einstellung des einzelnen Zuhörers werden die dort gefaßten Beschlüsse in erfreulicher oder weniger erbaulicher Weise aufgenommen. Dicht daneben finden wir zwei Gasthöfe, und ist es den Herren Stadtvätern hier vergönnt nach angestrengter geistiger Tätigkeit ihre angestrengten Sinne durch geistreiche Getränke wieder aufzufrischen. In unmittelbarer Nähe finden wir in einer kleinen Gasse den weitgereisten Wächter des Dorfes, den Storch, in der Bachgasse das alte Rathaus.
Im Oberend ist die Stätte wo nach dem dreißigjährigen Kriege die ersten zurückgekehrten Ortseinwohner wieder das Vertrauen zur alten Heimat gefunden haben. Es waren dies die Familienoberhäupter der beiden Familien Menges und Mohrhard, die die Pest und den dreißigjährigen Krieg überstanden hatten. Nach den alten Erzählungen sollten diese, nachdem sie sahen, wie ein Taubenpaar, das sich in dem vom Herd durch den Schornstein einer Hütte herausgewachsenen Holunderbaum häuslich nistete, gesagt haben: „Wo Tauben wohnen, da können auch wir leben.“ Im ganzen wird erzählt und beurkundet, daß Semd, das bei der behördlich veranstalteten Volkszählung im Jahre 1635 60 Ortseinwohner hatte, nach den Pestjahren und dem dreißigjährigen Kriege nur noch 9 Köpfe zählte.
In der Nähe finden wir die Taubensemd, ein in früherer Zeit von der Rauhgräfin an die Gemeinde geschenktes Wiesengelände. Zu ihrem Andenken ertönt noch heute vormittags um 10 Uhr das Gesamtgeläute der Kirchenglocken.
Nicht weit davon ist die sagenumwobene Stiel.
An der sogenannten Lengfelders Brücke finden wir den Platz worauf an den Kirchweihtagen etc. reges Leben herrscht.
Am Ausgang des Ortes, an der Straße nach Richen steht das neue Schulhaus mit seinen großen Fluren und kleine Sälen.
In der Gegend zum Walde hin (Einsiedel) ist die Stelle wo sich früher die Ortschaft Steinhausen befand und sind bei den Feldarbeiten bis in die jüngste Zeit hinein dort Steine als Übrigbleibsel gefunden worden.
Ein schöner und stattlicher Wald empfängt uns. Fichten, Eichen, Buchen und Kiefern wechseln in fachmännisch wohl durchdachter Weise miteinander ab. Die im unteren Straßenquartier sich befindende Gambseiche dürfte wohl der älteste Baum in diesem Walde sein. Das Alter dieses Baumriesen von ca. 160-170 cm Durchmesser wird in forstfachmännischen Kreisen auf ca. 420 Jahre geschätzt. Ein großer Teil der Umgebung unseres Ortes soll früher Wald gewesen sein. Verschiedene Feldgewanne geben heute noch Zeugnis davon. Im Höhnes finden wir heute noch teilweise verkrippeltes Gebüsch von Eichen. Die Namen der Gewannen „Im gehauenen Holz“ sowie „Bei den Eichbäumen“ und den „Frostäckern“ stammen wohl auch davon. So finden wir auch ein neues Ackerfeld an der Straße von Semd nach Richen. Ein schöner Hochwald „Fuchsbau“ wurde um Siedlungsland zu schaffen, hier abgeholzt. Beide Wälder, Ober- und Mittelforst befinden sich in der Gemarkung Semd, sind aber fiskalisches Eigentum. Die Hohe Straße, die durch den Wald führt, ist ein Teil der Römerstraße, die früher von Würzburg nach Paris zog. Der Reiterspfad soll daher seinen Namen tragen, daß die Ritter der früheren Zeit denselben benützten, um von der Feste Otzberg nach Aschaffenburg zu gelangen. Wohl mag dieser Pfad früher eine etwas andere Lage besessen haben, wird doch in den Erzählungen berichtet, dass ein frommer Ritter, der hier von Wegelagerern überfallen wurde, die heilige Jungfrau in der Nähe einer damaligen Einsiedlung um Schutz anrief. Und dadurch, daß ein Mädchen, das von Altheim nach Semd ging und die Notschreie hörte, auf dem Platz in der Nähe der damaligen Einsiedelei erschien, von den Wegelagerern als die heilige Jungfrau angesehen wurde, sodass diese von ihrem Opfer abließen und flüchteten. Zum Danke für diese Befreiung tat dieser Ritter das Gelübde, an jener Stelle eine fromme Stätte zu errichten und ließ daselbst ein Kloster erbauen. Urkundlich wird aus dem Jahre 1840 von einer Bruderschaft der lieben Frauen-Forstwaldkapelle bei Semd berichtet. Ein größerer Teil des Holzwerkes von dem Groß-Umstädter Rathaus soll von diesem Kloster stammen. Bis in die Jetztzeit knien an dieser Stelle Wallfahrtszüge zum Gebete nieder und heute noch sind dort in unmittelbarer Nähe etliche Brücken über die vorhandenen Gewässer.
Semd, im Juni 1927
Adam Storck IV., Schreinermeister
Karlheinz Müller