Urkundliche Erwähnung von Semd

"Wann die Gründung erfolgte, lässt sich nicht mehr feststellen, doch war auch unsere Gegend sicher schon früh besiedelt, da sich hier, wie auch im benachbarten Groß-Umstadt Spuren der Menschen aus der Steinzeit fanden. So wurde vor Jahren von Holzhauern beim Fällen eines Baumes im Forst ein Steinbeil gefunden. Für die Besiedlung in der Römerzeit sind die Zeugen viel zahlreicherDiese Passage ist in fast allen Chroniken unseres Dorfes zu finden.

Konkret wird die Geschichte Semd und seine Umgebung (Verfasser Ad. Storck 4., Schreinermeister) in der Festschrift zum Gau-Schützenfest 1927:

"Eine Urkunde von 836 berichtet von Siemina."


Den gleichen Text findet man auch in dem Festbuch zum 60-jährigen Jubiläum des Männergesangvereins Sängerlust im Jahr 1928. Um welche Urkunde aus 836 es sich hierbei handelt ist nicht belegt. Es könnte sich jedoch um das "Seligenstädter Zinsregister" - wie weiter unten im Schreiben des Hessichen Staatsarchivs Darmstadt erwähnt - handeln.

Diese vorgenannte genaue Datierung (836) kommt aber in später verfassten Chroniken nicht mehr vor. Hier heißt es dann nur noch "in einer alten Urkunde", oder

  • "In einer Urkunde aus dem Mittelalter taucht das Dorf erstmals unter dem Namen Seminaha auf."
    (Festschrift zum Sängerfest 1958 / Semd im Wandel der Zeiten / Verfasser Alwin Poth)
  • "Im 9. Jahrhundert wurde von uraltem Boden geschrieben und als karolingische Siedlung 'Sieminaha' genannt."
    (Festschrift zum Sängerfest 1964 / Ortsgeschichte von Semd / Verfasser Heinrich Reinhard

Sucht man im Internet nach Semd und den alten Ortsbezeichnungen stößt man auf folgenden Link:

http://www.dike.de/pfr-tischner/22-spr/ht-nam/ht-sn/ht-sn/orte/0950.htm

Der frühere Pfarrer und heutige Verfasser der "Sprachecke" im Darmstädter Echo Heinrich Tischner hat hier auf Unterseiten von DIKE (Digitales Informations- und Kommunikationssystem in der Evangelischen Kirche Hessen und Nassau) die sprachliche Entstehung zahlreicher hessischer Ortsnamen veröffentlicht. Zu Semd ist folgende Seite vorhanden:

Semd

berichtigter Name: Siemina – amtlicher Name: Semme

Fluss > Gersprenz

ähnliche Namen: um 1000 Siemina = Seemen/ Vogelsberg {A 249}

Überlieferung: 8-er Jh. Siemina {StD 187}

ursprüngliche Aussprache: [|si:mina]

Glied 0: aeu. sem 'mit Wasser hantieren': vgl. den illyrischen FlN Semnus, lit. semiû 'schöpfe' und air. *sem 'ausgießen' {Krahe 87}

Form: aeu. Anfügung -ina wie in Richina

vorgerm. /e/ > ahd. /ie/ > aRhfr [i:]

 

berichtigter Name: Sieminach – amtlicher Name: Semme

Fluss > Gersprenz

Überlieferung: um 800 Siemenaha {Odw 9,54}

ursprüngliche Aussprache: [|si:mén/aħa]

Glied 1: FsN. Siemina

Glied 2: ahd. aha 'fließendes Wasser'

 

berichtigter Name: Semde – amtlicher Name: Semme

Fluss > Gersprenz

Überlieferung: um 800 Semita {Odw 9,54}; 1365 Semme {S 77}

ursprüngliche Aussprache: [|sém•da]    heutige Aussprache: [|sémə] {EK}

Glied 0: ahd. semida 'Binse' {Gr 16,557}, dt. Weiterbildung mit -de aus dem Wasserwort?

Erklärung: wohl Eindeutschung des aeu. Namens

 

berichtigter Name: Semd – amtlicher Name: Semd

Kreis: DI – Gemeinde: Groß-Umstadt – Ortsteil: Semd

Überlieferung: um 1312 Semede {M}; 1464 Semde {WK 318}; 1544 Sem {M}; 1565 Sembde, Sempt {M}; 1808 Semd {KH}

ursprüngliche Aussprache: [sém•də]      heutige Aussprache: [sém] {EK}

Glied 0: FsN. Semme

 

berichtigter Name: Tauben-Semd – amtlicher Name: Tauben-Semd

Fluss > Semme

Überlieferung: 1365 Tauben Semme {S 77}; 1391 dauben semde {S 128}

ursprüngliche Aussprache: [|dauvə |sémə]

Glied v: cymr. dwfr 'Wasser', vgl. die Flüsse Tauber (zum Main) und Dover (England)

¤ aoeu. dubr 'Wasserloch': lett. dubrà 'Sumpf, Moor'; lit. duburys 'Vertiefung'; abg. du bru 'Schlucht'; illyr.? dýbris 'Meer' {Krahe 76}

Glied 0: FsN. Semme

Form: *Tauber-Semde, umgedeutet auf das Beiwort taub 'leer' und im schwachen UF Ez.

 

In einen Schriftwechsel schrieb Heinrich Tischner:

 

Lieber Herr Müller,

... Die Erwähnung 8-er Jh. Siemina {StD 187} habe ich aus J.W.C. Steiner, Geschichte der Stadt Dieburg... (1829). S. 187 steht unter "Notizen aus einem alten Evangelienbuche der Abtei Seligenstadt, über Schenkungen, Revenüen und Reliquien daselbst.

Ohne Jahreszahl, wahrscheinlich aus dem 9ten Jahrhundert":

S. 187 Zeile 6-7: Heriman II, de Siemina, Hiltigart, Engelfuint ...

Wegen der Namensformen scheint mir die Datierung nicht unwahrscheinlich:

Thiobracht = Diebrecht, Niuuiheim = Niuweheim, Uarsit = Warsint

hat man zur Zeit Karls des Großen tatsächlich geschrieben. Steiner bemerkt auf S. 188, dass die Namen an den Codex Laureshamensis erinnern.

Die beiden anderen Belege: um 800 Siemenaha {Odw 9,54} und um 800 Semita {Odw 9,54} habe ich aus der Zeitschrift des Breubergbundes "Der Odenwald".

 

Außer, dass diese „Notizen“ nicht datiert sind und nur sprachlich einer Zeitepoche zugeordnet werden können, geht auch daraus nicht hervor, ob mit dem Eintrag „de Siemina“ Semd als Ort gemeint ist, oder nur der Bach Semme.

 

Auf eine weiterführende Recherche schrieb Dr. Thomas Lux vom Hessischen Staatsarchiv Darmstadt folgendes:

 

Sehr geehrter Herr Müller,

... Das von J.W.C. Steiner (1829) teiledierte Seligenstädter Zinsregister wurde von Peter Engels vor kurzem neu bearbeitet (Das Seligenstädter Zinsregister und die Ersterwähnung des Darmstädter Stadtteils Arheilgen, in: Archiv f. Hess. Geschichte 60, 2002, 371 ff). Den Aufschrieb „Siemena" bringt er mit Ober-, Mittel- oder Niederseemen am Seemenbach östlich von Gedern in Verbindung. Aufgrund der Lautfolge ist einer dieser Orte dem hier interessierenden Semd vorzuziehen (a. a. O., S. 380, s. Anlage). In der Sprachforschung gilt „siemena/Seemen" als „seltener und isolierter Siedlungsname"(Klaus Andrießen, Siedlungsnamen in Hessen, 1990, S. 237, 249). Darüber hinaus eignet sich diese Quelle kaum für eine sichere Datierung. In dem Register werden zwar für die Orts- und Personennamen sprachliche Formen verwendet, die aus dem 9. Jahrhundert stammen, jedoch ist für das Schriftbild von einer Gesamtdatierung für das 10. Jahrhundert auszugehen. Es handelt sich auch nicht um eine reine Abschrift, mit der ein älterer Stand unverändert übernommen worden wäre, sondern es wurde wahrscheinlich über mehrer Jahrzehnte hinweg fortgeschrieben (Engels, a. a. O., S. 374 f). Mithin lassen sich exakte Datierungen kaum vornehmen. Somit ist weiter von 1312 als Jahr der Ersterwähnung auszugehen (Wilhelm Müller, Hessisches Ortsnamen buch, Bd.l: Starkburg, 1937, S. 669 ff.). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass auch dieses Jahr lediglich erschlossen worden ist; Müller schreibt am angegebenen Ort entsprechend ,,c[irca] 1312", weil die Urkunde leider undatiert bzw. nicht vollständig überliefert ist. Da der Aussteller, der fuldische Abt Heinrich V. v. Weilnau am 18. Februar 1313 verstarb, ist der Dezember 1312 als letzter Zeitraum für die Ausübung von Amtsgeschäften („Terminus ad quem") angemessen. Ein Abdruck der Urkunde (Joh. F. Böhmer, Urkundenbuch d. Reichststadt Frankfurt, neu bearb. v. Fr. Lau, Bd. 2, 1905, S. 575 f.) mit einer editiorischen Ergänzung ist beigefügt.

 

Soweit der derzeitige Stand meiner Recherchen zur urkundlichen Ersterwähnung unseres Dorfes.

 

Karlheinz Müller