Schinderhannes-Vortrag am 15.02.2008

mit Dr. Mark Scheibe

Vorankündigung:

Derberüchtigte Schinderhannes

„Nichtsnutz, Pferdedieb und schwindsüchtig?“

Am Freitag, 15.Februar, 19:30 Uhr, wird Dr. Mark Scheibe, Jurist an der Universität Mainz, im Gasthaus „Zur Krone“ in Semd, seine Forschungsergebnisse über den berüchtigten Räuber vortragen.
Weit mehr als bisher bekannt gewesen, hat der Räuberhauptmann in unserer Gegend zu tun gehabt. Nachdem der 20jährige Viehdieb Schinderhannes aus dem tiefen Verlies im Turm zu Simmern 1799 entkommen konnte, flüchtete er in die Umgebung von Darmstadt und in ein zweites Versteck im Taunus und verlegte sich auf Überfälle und Einbrüche.Neben den Berichten zu seinen Aufenthalt rund um Semd gibt es einige Dutzend Kilogramm historischer Dokumente, die von dem Leben des Räubers und seiner Spießgesellen bei uns berichten, und die seit 200 Jahren fast vollständig unbeachtet gewesen sind.
Hier war es aber besonders spannend, Sage und Wirklichkeit voneinander zu trennen.
Um dem Räuber aber auf die Spur zu kommen, waren Reisen bis in die Archive von Wien, Paris und sogar nach Brasilien nötig ! So waren damals Tausende von Hessen-Darmstädter in die Neue Welt abgewandert. Dort haben sie die Berichte über den bekannten Räuber viel besser erhalten, als das heute bei uns der Fall ist. Insbesondere Romanschreiber und die Presse haben den Schinderhannes zu einem großen Räuberhauptmann gemacht. Tatsächlich haben seine Zeitgenossen, die persönlich mit ihm zu tun hatten, ihn weder für einen Räuberhauptmann noch für einen Robin Hood gehalten.
Dr. Mark Scheibe hat fast 1.100 Akten der Strafjustiz aus der Zeit des Räubers Schinderhannes aufgearbeitet (allein 700 Akten aus Frankfurt am Main), sich als erster Forscher nach 200 Jahren überhaupt um das Auftreten des Schinderhannes im Rechtsrheinischen gekümmert und über 150 Orte zwischen Westerwald, Wetterau, Taunus und Odenwald erstmals mit Taten des Räubers in Verbindung bringen können und so ein völlig neues und wesentlich erweitertes Bild des Räubers und der Kriminalität jener Zeit zeichnen können. So soll Schinderhannes bereits als 17jähriger bei der Rückeroberung der Königsteiner Festung von den Franzosen im September 1796 auf Seiten der Österreicher dabei gewesen sein.
Besonders spannend sind aber nicht nur die alten Strafakten, sondern auch beispielsweise die Berichte des Kölner Professors und Räuberjägers Anton Keil, der durch den Taunus bis hinunter nach Frankfurt und Hanau die Gefängnisse nach bekannten Spießgesellen durchsuchte. Wer von seinen Berichten erfährt, wird keinen amerikanischen Western mehr sehen wollen – denn die wilden Schießereien und Abenteuer fanden bei uns vor der Haustür statt. So nahm Keil einmal in einer Nacht bei Hanau 120 Vagabunden fest. Keiner traute sich, ihm zu widersetzen, denn Keil war der Schrecken selbst der professionellen Kriminellen.
Neben zahlreichen, dem Publikum völlig neuen Berichten zum Schinderhannes, werden zeitgenössische Polizeiberichte unserer Gegend vorgetragen und so ein spannender und kurzweiliger Abend geboten.
Um rechtzeitiges Erscheinen wird gebeten ! Der Eintritt ist frei.

Der Bericht:

(KHM) Am Freitag, 15.02.2008, veranstaltete der Semder Heimatgeschichte e.V. im Saal des Gasthauses „Zur Krone“ in Semd einen Lichtbildvortrag über den berüchtigten Schinderhannes. Der Vortragsabend mit dem Schinderhannes-Experten Dr. Mark Scheibe, Mitarbeiter im Fachbereich Rechtswissenschaft an der Universität Mainz, markierte einen weiteren Höhepunkt in der erst kurzen Vereinsgeschichte. Rund 130 Zuhöhrer im Saal des Traditionsgasthauses – mehr ging nicht. Viele auswärtige Geschichtsvereine waren anwesend, so z.B. aus Dieburg, Babenhausen, Habitzheim, Kleestadt, Lützel-Wiebelsbach, Schaafheim usw.

Die Veranstaltung wurde von der Musikgruppe des Semder Geschichtsvereins mit der Semder Fassung des Schinderhannes-Liedes eröffnet, bevor der Vorsitzende Karlheinz Müller die Gäste begrüßte. Müller freute sich, dass auch Frau Marie Luise Drabke von der Abteilung Dorf- und Regionalentwicklung des Landratsamtes, sowie Frau Claudia Eckhardt vom Geo-Naturpark Bergstraße-Odenwald als interessierte Zuhörer anwesend waren. Stadträtin Renate Filip, selbst Mitwirkende in der Musikgruppe des Vereins, überbrachte in Vertretung für den entschuldigten Bürgermeister die Grüße des Magistrats.

Bei dem Vortrag von Dr. Scheibe merkte man deutlich, dass er sich schon 14 Jahre mit dem Thema Schinderhannes beschäftigt und zahllose Akten der damaligen Zeit ausgewertet hat. Mit fundiertem Wissen zeichnete er das Bild des Schinderhannes als Kind der französischen Revolution von seiner Geburt bis zu seinem Tod unter der Mainzer Guillotine. Er beschrieb seine Taten im Hunsrück, seine Fluchten ins rechtsrheinische und seine Aufenthalte besonders in Semd und Umgebung. Er beschrieb, wie Johannes Bückler im Ermittlungsverfahren versuchte seine Weste reinzuwaschen; in der Hoffnung doch der Todesstrafe zu entgehen, alle Komplizen verriet; welche Anziehungskraft er insbesondere auf die Damenwelt ausstrahlte und wie geschickt er versuchte, nicht als einfacher Dieb und Räuber zu erscheinen, um dann doch schließlich gegen Ende der Hauptverhandlung auch seine Gewaltätigkeiten zugeben zu müssen, die ihm schließlich das Todesurteil einbrachten. Gerade die erst jetzt wieder aufgetauchten Aufzeichnungen des damaligen Gerichtspräsidenten Rebmann würden bestätigen, dass es sich bei Schinderhannes nicht um den deutschen Robin Hood, sondern um einen ganz „schlimmen Finger“ gehandelt hätte.

Unterstützt wurde Dr. Scheibe von seinem Kollegen Christian Pohl. Wenn dieser aus alten Polizeiakten und Erpresserbriefen vorlas, fühlte man sich in die damalige Zeit versetzt. Scheibe und Pohl zogen die Zuhörer in ihren Bann, nahmen sie mit auf eine spannende Zeitreise und wurden dafür am Ende mit reichlich Applaus bedacht.

Zum Ausklang dieses gelungenen Abends brachte die Musikgruppe u.a. passend zum Veranstaltungsort das Lied „Beim Kronewirt“ bei dem die Zuhörer kräftig mitsingen konnten.

Rechtzeitig zum Vortragsabend ist auch die 2. überarbeitete Auflage der Semder Schinderhannes-Broschüre erschienen und ab sofort erhältlich. Näher Infos hierzu bei Karlheinz Müller, Tel.: 06078-5201 oder unter www.die-semmer.de

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